Als deine Füße Meersand erkannten.

Ab und zu kommt dies vor: Ein kleines Mädchen, das mit ihrem Papa schwimmen geht und, da noch zu unselbstständig, mit in die Männer-Umkleidekabine darf. Dass sie mich in der Dusche offenbar unablässig anstarrt, hat sicher auch mit dem Umstand zu tun, dass ich neben ihrem Papa der Einzige hier bin. Zweimal sehe ich kurz hin, weil da einfach keine Lücke in ihrem „Anstarren“ zu sein scheint. Große Augen, die in unirritierbarem Ernst irgendetwas mustern oder etwas sehen, was ich scheinbar nicht sehe.

In der Kabine, obgleich man es kennt, staune ich etwas, was ihr alles zum Widerstand wird. So kann der Vater sie kaum davon überzeugen, sich abzutrocknen. Dabei gehört sie zu den besonders ideenreichen Wesen, die Anweisungen des Erwachsenen zu hintertreiben und auszuhebeln. Der junge Vater ist einigermaßen streng, aber macht das schon sehr richtig, sie darf ihren Freiraum ausleben, aber hat sich letztlich abzutrocknen .....

Ich weiß ja auch nicht warum, aber ab und zu dreht sie sich um und richtet voll ihre großen ernsten Augen auf mich, nicht ohne Prüfung, wie mir scheint, aber, obgleich „um kein Wort verlegen“, wortlos.

Ich werde Ohrenzeuge des kleinen Dramas, das es ist, eine Tochter in die Kunst des Anziehens einzuweisen, die es plötzlich auch nicht mehr einsieht, sich weiter anziehen zu wollen. „Was ist denn jetzt so schlimm daran, dich weiter anzuziehen?“

Als die beiden gehen, der Vater voraus, dreht sie sich ein letztes Mal um und sieht mich an, – sicher täusche ich mich – als entstamme ich einem anderen Planeten. Es würde mich sehr interessieren, eine genaue Übersetzung ihrer Wortlosigkeit zu erhalten.

 

Als ich das Freibad verlasse und über den Rasen schlendere, bin ich auch ein wenig erleichtert, weil der kleine Mensch mich doch etwas gestresst hatte .. Vielleicht spürte sie – auch – meine Gedanken, ohne sie „erraten zu können“, es waren nämlich die:

Zunächst wurde mir klar, wie ausgeprägt dieser Mensch schon ist, aber mit welchem Unterschied zu späteren Phasen? Und erinnerte plötzlich die Affektiertheiten und Künstlichkeiten, die noch anders zu bezeichnen wären, der eigenen Pubertät und Prä-Pubertät. Schutz-Abwehrreaktionen. Das Mädchen war nun noch in einer Phase davor, in einer „Phase“, in der ein gewisser Grundschutz glücklicherweise gegeben ist und sie völlig offen aus ihrer schon sehr entwickelten Person einfach herauslebt. Das war das Frappierende, sie bekam schon alles mit, aber hat noch kein Bewusstsein von den späteren Nähe- und Distanzspielen dieser Zivilisation, die sehr bald bei ihr einsetzen werden. Sie zeigte die vollen Archetypen noch unverhüllt und so sah auch ihr Gesicht aus, so sahen ihre Augen. Sie war in allem nur absolut ehrlich.

Durch diese Art Wunde nun, die mir zugefügt wurde, erlebte ich einst einen Durchstoß. Und zwar, wie mir nun ganz bewusst wurde, landete ich in der Phase, in der sich das Mädchen befindet. Wer jetzt nur „Regression“ denkt, wird das Wesentliche nie verstehen. Im Übrigen sind Wissenschaften dabei, das Positive und Wertvolle von Regression aufzudecken. Ich habe noch immer – oder es wiedererhalten – etwas von der Aufrichtigkeit und Unmittelbarkeit dieses kleinen Mädchens. Zugleich habe ich alle üblichen Entwicklungsphasen durchlaufen und verarbeitet, sie stehen zur Verfügung, einschließlich der überentwickelten intellektuellen Präsenz. Das scheint das Besondere oder Spezifische meines Daseins. Und das Mädchen hat mich nicht angesehen „wie vom andern Planeten“, sondern gespürt, dass ich noch einen direkten Zugang habe zu ihrer Phase, zu ihrem Leben. Zugleich konnte sie nicht fassen, dass ich so aussah und so normal war, wie all die andern Erwachsenen, mit denen sie zu tun hat.