Nachfolgendes auf der Grundlage des Buches ›Wege heraus‹ (Tredition, erschienen 6. September 2021).
Wege
heraus
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Ausgänge
Was sich alles angesammelt hat, im gesellschaftlichen Raum. Was da alles rumsteht. Etwa an einem kalten Regentage, kaum ein Mensch draußen, ist es zu sehen in aller Deutlichkeit.
Selbst in der eigenen Wohnung, bevor du es wegschufst.
Selbst in deinem schriftlichen Ausdruck.
All die ›schlechten Manifestationen‹
aus diesen Zeiten.
Gib die Zeiten, die
hinter dir liegen, frei.
Jetzt schaffe
das Geeignete.
Wohnung neben ihnen nun frei wurde.
Einer dieser Täter im Haus
oder nicht im Haus.
Diese ungeheure Entscheidung, die wir nicht treffen, wer nebenan, räumlich so nah, einzieht, räumlich
so nah!
Täter-›Qualität‹:
nur anstrengend; nur negativ; nur doppelbödig und unehrlich; dazu noch mit der Möglichkeit . . .
dein und mein Vertrauen hatten sich ganz entwickelt, saßen da und waren ganz vereint.
Gewalt stach aus den Augen, Blendung
aus Gedächtnis heraus.
Fazit:
Keine solche Nachbarschaft, dann kein Vertrauensraum gegenüber allen andern im Umkreis möglich, kein Menschenwürdiges Dasein.
Moment mal, stimmt das?
Oder welche Selbstermächtigung
lässt sich hier . . . ?
Antwort:
Offenlegung der ganzen Wahrheit; Partner ins Vertrauen nehmen.
Andre Aufrichtung als in jener Zeit.
Aktivierung des eignen Macht-Raums.
Einsetzung von Sprache und Recht.
Benennung des Gewesenen, laut, öffentlich.
Stigmatisierung des Täters.
Nicht des Opfers.
Als vor rund drei Jahrzehnten einer sagte, wie er esse.
Als wäre er ein Kriegskind.
war dieser Krieg.
Zerstörung der Sphäre der Liebe.
ja, ist das so?
Nicht dann
wenn mit Partnerin, überhaupt, dieser
Entwicklungsschritt vollzogen wird.
MENSCHEN GETROFFEN
Ich habe Menschen getroffen, die,
wenn man sie nach ihrem Namen fragte,
schüchtern – als ob sie garnicht beanspruchen
könnten,
auch noch eine Benennung zu haben −
[…]
»wie der Vorname« – bitte, belasten Sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!
Ich habe Menschen getroffen, die
[…]
die reine Stirn der Engel trugen.
Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muß nun gehn.
(Gottfried Benn)
Hat also hunderte Einzelblätter
mit seiner vielfältigen inneren Stimme (Notate)
unumkehrbar weggetan.
Auf den Bauhof gekippt.
Ausgerechnet dorthin.
So viele andere Gegenstände, die er wegschüttete, wenigstens abfotografiert.
Warum nicht das Wertvollste, die erschriebene innere Stimme?
Es bestehen Zeugnisse aus dieser Zeit.
Aber jetzt keine Erinnerungssammlung mehr in Form von Einzelblättern.
Es brauchte offenbar
wieder den Verlust, definitiven, für
ganze Wertschätzung.
So nach zwei Jahren fingen sie an zu fehlen, diese Blätter.
Einzelnes, das noch genießbar erschien, hattest du aufgehoben.
Interessant jetzt aber erscheint das vermeintlich Nicht-Genießbare.
Die Verknotungen von Sprache, die etwas von dem Wirrsal wiedergeben.
Gewissermaßen die
echtesten Texte.
Was für ein Auswahlprinzip war es wieder!
Auch als Literaturwissenschaftler hätte er wissen müssen darum.
Hätte tun sollen: einige hundert Blätter abfotografieren.
dass er sich
am Ende dann selbst entsorgte !
Doch auch hier
gibt es
ein ›andrerseits‹:
Durch Wegschaffung der sichtbaren Manifestationen
darf diese Zeit offenbar etwas freier in ihm atmen.
Auch: ein Stück wirklich realer Abschied von sich.
Kennzeichen der Zeit dieser Papiere.
in der Krümmung
oft.
in inneren Detonationen.
Vater-Auseinandersetzung dominant.
Begehren, oft wenig interaktiv.
Beschreibungen aus dem Wirtschaftsbetrieb, in dem er tätig war.
Verächtlichkeit, Hass
was alles
nicht zueinander passte.
setzte sich hin und schrieb etwas auf ein Einzelpapier (das er dann wegheftete), so bewusst er konnte: ein Erkennen.
(Welche Gedanken, Haltungen fehlten, die ihn heute kennzeichnen.)
Sieh die Welt von hier aus.
So kurz davor gewesen, bei einem Flug innerhalb Indiens abzustürzen.
Gar nicht geboren worden zu sein.
Bedenke: alles, was war, trug dazu bei
zu werden wie du jetzt
bist.
Die inneren Sinne
Hören, was nicht in der Außenwelt
Sehen, was nicht in der Außenwelt
Wahrnehmen
im
Tiefsten
Anhebung der Wertschätzung von allem.