Dangast 4

 

 

25.10.2020, Sonn-Tag

 

 

42 / Sonntag 7 Uhr. So herrlich jung die Frau an Rezeption, die zwei »Kaffee to go« aushändigt. Wach, neugierig, fühlbar Furcht-los und seelenvoll in sozialen Prozessen.

 

 

43 / Sonnenaufgang. Für was alles geht die Sonne auf an diesem Tag? So magisch-dunkelrot glüht sie zwischen den im Morgenwind wehenden weißen Fahnen des Hotels und dem Herbststrauch im wunderroten Blätterkleid.

 

 

44 / Erinnerung daran, einen vergangenen Freund reden zu hören »Bei gemeinsamen Unternehmungen gab ich immer etwas aus dem Herzen aus, während ich bei ihr den Eindruck hatte, dass sie rechnete«. »Ja«, sagtest du, »es ist auch eine Frage von Haben oder Nicht-Haben. Bei Letztrem kann auch Angst, nichts mehr zu haben, ihre Rolle spielen.« »Ja«, sagte er, »trotzdem.« Du sagtest: »Ja, wenn es dir so auffällt, ist es vielleicht auch bei dir eine Frage, ob du nicht auch rechnest.« »Ja«, sagte er, »alles ist eine einzige Frage. Und ja, stimmt, ich rechnete auch, am Ende einer Zeit fragte ich mich jedes Mal, was habe ich im Einzelnen von dieser Zeit gehabt?« »Ist doch normal«, sagtest du einst, »und vielleicht ist das ja auch gar kein Rechnen.«

 

 

45 / Ein anderes Mal sagte er, »meine Freundin ist auf Reisen und teilt sich das Doppelzimmer mit einer Freundin. Ist es bei einem solchen längeren Aufenthalt nicht ganz normal, dass man sich sozusagen seine Geschlechtsmerkmale zeigt? Nein, sagte sie, das ist es nicht«. »Welche ist denn jetzt deine Intention«, sagtest du, »dass du mir das sagst?« »Sicher«, sagte er, »in dem Fall etwas zwischen Erotik und Macht.«

 

 

46 / Letzter Tag der Reise. Ein besonderer Tag –, so ein letzter Tag, an dem einiges schiefgehen kann. Größte Vorsicht geboten. Die Situation hat sich naturgemäß umgekehrt, als dass keine Ferienzeit mehr vor einem liegt. Sondern Übergänge: räumlich-geografische und solche vom Zu-zweit-Sein ins Alleinsein. Etwas soll wieder aufgenommen werden, womit man zunächst kaum mehr etwas anfangen möchte.

 

 

47 / »Das Leben ist ein Versuch, gute Momente zu erhaschen.«

 

 

48 / »Du musst Furcht und Urteil in dir legalisieren«, sagte er. »Um diesen Schritt geht es. Nicht darum, hinter ihn zurückzufallen.«

 

 

49 / Hochangeregte Unruhe beim Abschied vom Hotel und von diesem Lebensraum. Als müsste, als könnte etwas mitgenommen werden, was von immerwährendem Wert sei.

 

 

50 / Galerie Willy Hinck. Gespräch über Kunst mit demjenigen, der einlässt und auf die Räumlichkeiten aufpasst. Etwas tief in der Seele erschien.

 

 

51 / Allein unterwegs in Dangast. Beim Versuch eines Fotos zu bemerken, dass dies zu deiner Art gehört, ein Nest in diesem Ort zu bauen - - - meint, Traumbilder und Innereien von diesem Ort in sich zu realisieren.

 

 

52 / Corona-Hörigkeit. Wirklich der Eindruck, Menschen kann man alle Regeln servieren. Wenn hier wieder Faschismus wäre, als offizielle Staats-Politik, wären das ggf. für manchen »schlechte Zeiten«, aber wehren und selbsttätig denken und sich von da aus in Bewegung setzen?

 

 

53 / Rückfahrt. Im Wagen lesen. Selten ja, dass du interessante Prosa findest. Zumal du gar nicht danach suchst. Die Erzählung wird zu einem breiten zugleich feinfühligen Fluss durch Körper und Geist, der so richtig gespürt wird, als er aussetzt, nämlich als Verlust.